LINDEMANN live in Leipzig 2020 - Ein Till als Meister bizarrer Kunst in Hochform
LINDEMANN auf Europatour 2020
14.02.2020 Haus Auensee Leipzig // Support: JADU ++ AESTHETIC PERFECTION
Peter Tägtgren (Hypocrisy, Pain) & der RAMMSTEIN-Fronter Till Lindemann - gemeinsam bilden sie das Projekt "LINDEMANN". Just am Valentinstag sorgte das Duo in Leipzig für ein auf den Rängen und im Parkett krachend volles Veranstaltungshaus.
Die Show drehte sich dann auch im weitesten künstlerischen Sinne um (körperliche) Liebe, Selbstzweifel und Wahn. Jene glücklich mit einem Ticket gesegneten Besucher, des vor Monaten innerhalb von Minuten ausverkauften Konzerts, wollten jedenfalls ein aus dem normalen Rahmen fallendes Konzertereignis erleben und bekamen dies geliefert: Wer Till Lindemann nur ein wenig kennt und echte Fans sowieso, konnte auch ohne Spoilern der vorangegangenen Shows bereits erahnen, dass ihn eine Grenzerfahrung erwartet. Bei einigen Unbedarften dürfte die in weiten Zügen recht skurrile bis bizarre (Rock)Show für großes Erstaunen bis teilweises Entsetzen gesorgt haben. Die strikt durchgesetzte P18-Einlassorder jedenfalls hatte ihre volle Berechtigung. Trägt die Musik selbst sehr rammsteinige Züge, so lässt sich LINDEMANN`s Kunst mit "Strikt ohne Feuer, dafür mit mehr Sex!" zusammenfassen, greift damit aber zu kurz.
Den ursprünglich zwölf angesetzten Konzerten in insgesamt acht Ländern, wurden zehn weitere im russischsprachigen Raum hinzugefügt. Als Support hatte man den aufstrebenden Independent-Act JADU, sowie den aus Hollywood stammenden Electro-Derwisch AESTHETIC PERFECTION eingeladen. Beide Acts begleiten LINDEMANN auf der gesamten Tour.
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Die Berlinerin Jadu Laciny (nebenbei bemerkt die Ehefrau von Erfolgsrapper Marteria) schlägt als JADU mit ihrer Band seit 2019 eine musikalische Karriere ein. Die Sängerin verdichtet vermeintliche Gegensätze auf bestechende Weise zu einer in dieser Form noch nicht gehörten Rockmusik. In ihrer Musik verzahnt sie auf clevere Art Gesellschaftskritik und Rock-Pop mit subtiler Erotik. Anfang des vergangenen Jahres erschien ihr Debütalbum „Nachricht vom Feind“ und jüngst erst veröffentlichte sie ihre neue Single „Auf Drei“. Bei dem Song hat einmal mehr der erfolgreiche Produzent Olsen Involtini mitgewirkt (u.a. Seeed, Peter Fox, Rammstein). JADU selbst beschreiben ihren Stil als Military Dream Pop und dieses Thema wurde auch auf der Bühne in entsprechenden Outfits aufgegriffen. Selbstbewusst und sehr professionell trat Jadu auf und zog die Aufmerksamkeit der Zuhörer im mit rund 3600 Zuhörern besetzten Haus in den Bann.
AESTHETIC PERFECTION hat sich seinen Erfolg hart erspielt, in der Electro-Szene ist Daniel Graves mit seinem Projekt mittlerweile ein sehr gefragter Künstler. Schon im Jahr 2000 gegründet und mit acht Alben im Rücken, hat er sich vor allem als hervorragender Liveact einen Namen gemacht. Merkmale: charismatisch, selbstbewusster Typus mit unverwechselbare Stimme, verleiht er den pumpenden Beats seines Industrial-Pop eine Seele und Power. Unterstützung erhielt Daniel live von Rampensau Joe Letz an den Drums, vielen sicher noch von COMBICHRIST bekannt, sowie von Multimusiktalent Elliot Berlin. Doch die Menge lechzte nach Rock und so hatten AE hier und heute einen schweren Stand.
Wirft man das Wort LINDEMANN in den Raum, so sorgt man in musikalisch bewanderten Kreisen sofort für ein Aufhorchen. "RAMMSTEIN?!!" erfolgt die sofortige Gegenfrage. - Diese Kopplung ist also direkt vorhanden. Ob sie bei der Namensgebung des Projekts von vornherein so einkalkuliert war? Man mag so denken. Auch musikalisch orientiert sich LINDEMANN an der Neuen Deutschen Härte, wenn auch vielleicht einen Tacken elektronischer unterlegt. Dazu gesellt sich Tills markante Stimme sowie das rollende "R" und die Verbindung zum weltweit berühmten Sextett ist perfekt. Dass Till Lindemann unheimlich kreativ ist und sich in jeglicher Hinsicht entsprechend auslebt, mit Tabus und Überspitzung spielt und sich gesellschaftskritisch gibt, dürfte hinlänglich bekannt sein. – Unter anderem Gedichtbände und die Malerei gehören wie die Musik zu den Mitteln, derer er sich dabei bedient. Mit dem schwedischen Metal-Produzenten und Multiinstrumentalist Peter Tägtgren hat er einen Partner und seelenverwandten Freund gefunden, der diese Leidenschaften teilt.
Nachdem jüngst das zweite LINDEMANN-Album "F & M" mit nun deutschsprachigen Lyriks (Grundlage der Entstehung war ein Theaterprojekt in Hamburg) erschien, kündigten sie ihre allererste Tour an. Sehr kurz darauf meldete man die Shows bereits als restlos ausverkauft. Bei der Location-Wahl beschränkte man sich auf mittelgroße Hallen, was den Hype zusätzlich befördert haben dürfte. Auf der Bühne erhalten Till und Peter schwedische Unterstützung durch die Musiker Sebastian Svalland (Gitarre), Jonathan Olssen (E-Bass) und Sebastian Tägtgren (Drums). Weitere Rammstein-Mitglieder sind hierbei nicht involviert.
LINDEMANN servierten einen nicht leicht verdaulichen Brocken an lyrischen und live vor allem kurios-trashig-visuellen Provokationen – zumindest all denen, die mindestens 18 Jahre alt sind und somit Zutritt bekamen. Gegen diese geballte Ladung muten die bekannten Aktionen der "Schockrocker" RAMMSTEIN fast wie ein Kindergeburtstag der Krabbelgruppe an. Als LINDEMANN jedenfalls lebt man sich und die Kunstfreiheit hemmungslos und bis über die Schwelle des guten Geschmacks und darüber hinaus aus. Dabei gingen sie mit enormer Spielfreude zu Werke und verausgabten sich bis zum Ende sichtlich. Doch noch einmal der Reihe nach:
Während sich der angekündigte Showbeginn um gut fünfzehn Minuten verzögerte, verharrte die Menge mit gebannten Blicken auf dem reduziert wirkenden, schnörkellos und komplett in Weiß gehaltenen Bühnenbild: Mikrofone im Vordergrund, mittig etwas erhöht ein üppiges Drumset mit LINDEMANN-Schriftzug. Ein paar Stufen führen zu einem etwas erhöhten Podest im Hintergrund.
Dann der erste Jubel, als die Videoleinwand zum Leben erwacht: In leicht ruckliger Stummfilm-Manier gedreht, läuft ein verwirrt wirkender Till daumenlutschend durch städtische Straßenschluchten. Nebel waberte anschließend über die kurzzeitig in Dunkelheit getauchte Bühne. Dann taucht das Quartett nacheinander in scharfes Scheinwerferlicht gehüllt, zu den einsetzenden Klängen von "Skills In Pills" auf. Till Lindemann, Peter Tägtgren und Band zeigten sich uniformiert und ebenfalls komplett in Weiß gekleidet, sowie maskenhaft jokermäßig-verschmiert geschminkt. Ohne Umschweife startete das Konzert und die erste Headbanger-Runde mit wehenden Zöpfen von der Bühne herunter bringt die Menge in Ekstase. Ein in Zeitlupe bunte Psychopharmaka-Pillen ausspeiender Sänger in Großaufnahme wird dazu im Hintergrund auf Video eingeblendet. "Ladyboy" vom ersten Album folgte und die Stimmung im Saal schaltete noch einen Gang höher. Mit "Frau und Mann" stimmten sie die erste Mitsingnummer an. Überhaupt gerieten die deutschsprachigen Stücke vom neuen Album wie zum Beispiel auch "Knebel" und "Ich Weiß Es Nicht" zum Mitsing-Garant.
Das Publikum hing selbstredend zu jeder Sekunde an den Lippen des Sängers, 100-prozentig textsicher und inbrünstig bei der Sache. Ansagen in oder zwischen den Songs? - Fehlanzeige. Brauchte es auch nicht. Die wuchtigen Gitarren-Beats in bester Rammstein-Manier und die optischen Eindrücke wirkten erschlagend und surreal genug. - Teils pornografische und verstörende Sequenzen flackerten zu fast jedem Song über den Videoscreen.
Zu dem düsterschweren Stück "Blut" wurde die gesamte Szenerie passend farbig in tiefes Rot getaucht. Und dann auf zur Tortenschlacht, die Laurel und Hardy zu Ehren gereicht hätte: Zum Stück "Allesfresser" (Till kotzt sich dazu im Videohintergrund aus), fuhr man einen Tisch voller Sahnetorten auf, Arme reckten sich empor und schon flogen die Konditor-Torten kreuz und quer durch den Raum, gezielt sogar bis hoch zur Besucherempore. Eine kurze Verschnaufpause gab es anschließend für die wogende Menge zur inbrünstig von Till vorgetragenen Ballade "Home Sweet Home". "Platz 1" - Im durchsichtigen, riesigen Kunststoffballon, sinnbildlich für eine möglicherweise jederzeit zerplatzende Seifenblase (?), schwebten Till und Peter zu dem Stück singend und musizierend über der Zuschauermenge im Saal umher. Verzückung machte sich breit. - Die Stars zum Greifen nah und doch so fern…..
Zum Song "Fish On" tauchte Till dann plötzlich mit einem runden Bauchladen am Bühnenrand auf und verteilte werfend zuerst etwas an die vorderen Reihen, dann weiter in die Menge. Roher Fisch(!), vollständig und auch in Teilen ist es, der nun durch die Venue und auch zurück zur Bühne fliegt. Ein unwirklicher Anblick bietet sich dem Betrachter. LINDEMANN mutiert hier zur Grenzerfahrung. Der Effekt: vollkommen einkalkuliert. Die Protagonisten treiben es auf die Spitze und ergötzten sich an den Reaktionen des Publikums: In die Zuschauermenge katapultierte Torten? Lustig. Aufregung um fliegende Fische? - "Hätte er stattdessen lieber Sushi werfen sollen?!", so die Erwiderung von Konzertbesuchern.
Und schon ist man im Zugabenblock angekommen. Auf "Ach so gern" folgt "Steh auf", was wie ein dringender Weckruf erscheint und für ein geschlossenes SingAlong aus allen Kehlen sorgte. - Ein wahrlich eindrucksvoller Chorus mit Gänsehautgarantie der da erklang! Mit dem abschließenden Stück „Gummi“ schafften es insgesamt siebzehn Tracks, eine ausgewogene Mischung aus acht Songs vom Skills in Pills-Debüt und neun Songs vom "F & M"-Album auf die Live-Setlist. Als Abschied noch eine artige tiefe Verbeugung vor dem Publikum, ein knappes "Danke Leipzig" musste genügen und verschwunden war die Band. Man hinterließ eine große Schar glücklich-taumelnder Fans und vielleicht einige nun verstörte Kritiker (die sich klammheimlich mit untergemischt hatten) und die sich, dem Porno-Abspann von der Großleinwand herunter abwendend, schleunigst auf den Heimweg machten… . :o
Im Sommer wird Till Lindemann dann mit RAMMSTEIN in Leipzig zu sehen sein. Die Show im Stadion ist zweimal komplett ausverkauft.
Setlist Leipzig 14.02.2020:
Skills In Pills
Ladyboy
Fat
Frau & Mann
Ich weiß es nicht
Allesfresser
Knebel
Home Sweet Home
Cowboy
Golden Shower
Blut
- Deutschunterricht mit Lindemann "Ich bin nicht böse"
Platz eins
Praise Abort
Fish On
Zugaben:
Ach so gern
Steh auf
Gummi
Copyright Fotos: Falk Scheuring für HELL-ZONE
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