Leipzig is IAM{X} homeground – Mile Deep Hollow Tour 2019
Das Konzert im Täubchenthal Leipzig - 21. Januar 2019. Leipzig. Täubchenthal.
Es ist ein frostiger Montagabend zu Beginn der letzten Januardekade, den sich Chris Corner und seine Live-Band für ein weiteres Leipziger Konzert ausgesucht haben. Die IAM{X}-Fans zittern geduldig. Bei klirrender Kälte und Temperaturen von -6 bis -8 Grad Celsius harren sie vor dem Täubchenthal aus. Als der Einlasszeitpunkt näherrückt, hat sich schon eine lange Schlange von Anhängern gebildet. Denn Leipzig ist – wie sonst in Deutschland wohl nur noch seine ehemalige Residenz Berlin – ein Heimspiel für Corner. Trotz des eigentlich ungünstigen Termins für IAM{X}-Freunde mit längerer Anreise ist das Täubchenthal mit 700 bis 800 Konzertbesuchern gut gefüllt. Nachdem IAM{X} auf der „Alive In New Light“-Tour zur Promotion des Ende des Jahres 2017 erschienenen Albums am 19. März 2018 im „Beatpol“ Dresden Station gemacht hatten, ist die Messestadt 2019 endlich zurück auf dem Tourplan und eine von lediglich drei Stationen in Deutschland. Gut, dass Chris Corner in dem Release der Single „Mile Deep Hollow“ samt Video-Veröffentlichung einen willkommenen Anlass sah, wieder live zu spielen.
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Fotos: Falk Scheuring
Dabei sind wechselnde Locations die Regel. Corner & Co. haben in der ostdeutschen Metropole noch nie ein zweites Mal auf ein und derselben Bühne gestanden. Nach dem Debüt in einem kleineren Club beim Wave Gotik Treffen 2005, einem Gig im „Club Lagerhof“ 2009, dem legendären Mitternachtsspecial in der großen agra-Halle beim WGT 2013 sowie den Auftritten im UT Connewitz 2015 und im Werk 2 2016 zeugt die Größe des Clubs „Täubchenthal“ auch von der soliden Fanbase, die sich IAM{X} im Laufe der Jahre erspielt haben. Lässt man den Blick vor Konzertstart ein wenig schweifen, wird man des etwas angestiegenen Durchschnittsalters der Fans gewahr. Kein Wunder, begeht doch Chris Corner himself nur zwei Tage nach dem Leipziger Konzert seinen 45. Geburtstag und führt sein Projekt IAM{X} nun bereits seit 15 Jahren und über mittlerweile acht Studioalben.
21:00 Uhr entern Chris, Janine Gezang (mit bürgerlichem Namen Gebauer), Sammi Doll und Jon Siren die Bühne. Chris ist wie seit Jahren komplett in Schwarz gewandet und trägt – de rigueur - einen opulenten Kopfschmuck. Es fällt auf, dass seine Erscheinung in den letzten Jahren seit seiner Rückkehr ins Tourgeschehen 2015 deutlich femininer geworden ist, wohingegen sich Janines Outfit gegensätzlich androgyn entwickelt hat. Mit kurzgeschorenen Haaren wirkt sie maskuliner als bei früheren Tourneen. Während Janine vorwiegend mit den weiblichen Fans interagiert und diese immer wieder zum Mitklatschen und -singen animiert, spricht die aparte Sammi Doll, seit 2013 Mitglied der Live-Band, vor allem den männlichen Teil des Publikums an.
Per Beamer auf Leinwände projizierte Visuals sind seit jeher fester Bestandteil der IAM{X}-Konzerte. Diesmal wurden sogar vier Projektionsflächen auf der Bühne installiert, was die musikalischen Eindrücke durch visuelle Impressionen maximal verstärkt.
Den Auftakt des Gigs markiert “Alive in New Light“, der Titel- und in gewisser Hinsicht auch Mottosong des aktuellen Albums, in dem sich Chris Corner wie der vielbeschworene „Phönix aus der Asche“ präsentiert. Er nutzt (s)ein bekanntes Stilmittel: Die Strophen sinkt er in hoher Tonlage des Brustregisters, um sich im Refrain zu noch höheren Falsetttönen aufzuschwingen. Chris erzählt die Geschichte seiner eigenen Wiederauferstehung und wirkt dabei sehr authentisch. In Bezug auf die Produktion fallen die hier vergleichsweise weniger einfallsreichen Beats auf.
“No Maker Made Me“ vom Album “Metanoia” hat sich schnell zu einem absoluten Live-Favoriten entwickelt. Janine und Sammi leiten den Kracher mit der bekannten Zeile: “The magic light that appears to shine is not the light of benevolent design” ein. Das Publikum kreischt das prägnante Synthie-Motiv und das von Chris wie in einem Mantra wiederholte “You fucking sinner“ begeistert mit. Der alte IAM{X}-Zauber ist sofort wieder da.
“Bring Me Back A Dog“ aus “The Alternative” gewinnt live ungemein an Stärke. Drummer Jon Siren ist stark gefordert. Schweißtreibend. Chris liefert eine beeindruckende Performance. Es ist dennoch etwas überraschend, dass er “Dog“ weiter im Set hält und stattdessen auf die bei den Fans äußerst beliebten Stücke “Nightlife“ und “President“ von der gleichen Platte verzichtet. Als vierter Track wird der Hit “Happiness“ geboten. Auch diese catchy Dance-Nummer ist aus dem Live-Programm nicht mehr wegzudenken. Mit zum Gesang von Chris gut kontrastierenden Background Vocals bestechen Janine und Sammi.
“I Come With Knives“ setzt das Hitfeuerwerk fort. Die aus dem Album “The Unified Field“ ausgekoppelte Single eignet sich hervorragend zum Mitsingen. Chris animiert das Publikum zusätzlich, indem er mit zwei an seinen Armen befestigten Reflektoren die Lichtstrahlen auf Janine und Sammi lenkt. Diese intonieren die an ein Kinderlied erinnerenden Zeilen „Kinder und Sterne küssen und verlieren sich...“ Die Fans sind vor allem bei dem elektrisierenden Refrain voll da.
„Exit“ ist das erste ruhigere Stück des Abends mit einem sehr persönlichen und nachdenklichen Text. Dennoch gehört der Song sicher nicht zu den stärksten Tracks auf der aktuellen Scheibe “Alive In New Light“. Insbesondere das innovative “Break The Chain“ oder auch “Big Man“ sind musikalisch raffinierter konzipiert und wären zweifellos reizvolle Live-Darbietungen gewesen. Offenbar weil Tattoo-Künstlerin und Co-Vokalistin Kat von D bei der gegenwärtigen Tour nicht als Gast am Start ist, verzichtet Chris ebenfalls auf die mit ihr auf der Platte gemeinsam gesungenen Stücke “Stardust“ und “Stalker“, welche im letzten Jahr noch fester Bestandteil des Sets waren.
Die Ballade “I Am Terrified“ vom Album “Kingdom Of Welcome Addiction“ aus dem Jahr 2009 ist hingegen wohl einer der beeindruckendsten IAM{X}-Songs überhaupt. Chris und Janine singen gemeinsam großartig, Sammi verschönert die Darbietung mit einer kongenialen Performance an den Keys.
Das phantastische Stück “Sorrow“ ist der zweite und letzte Song des Abends aus “The Unified Field“ (2013). Vor der Tour hatte Chris seine Fans via Instagram und Facebook aufgerufen, sich Songs zu wünschen. Nicht alle Wünsche konnten erhört werden, dieser aber schon. “Sorrow“ zeichnet sich durch seine orchestrale Instrumentierung sowie die engelsgleichen Background Vocals von Janine aus und besticht durch die phantastische und ungewöhnliche Melodieführung im Refrain – fraglos eine eminente Aufwertung des Sets.
“North Star“, die dritte Singleauskopplung aus “Metanoia“, hat mittlerweile ihren festen Platz auf der Setlist ergattert. Der Track passt gut zur elektronischen, Dance-orientierten Gesamtkonzeption der Tour.
‘‘After Every Party I Die‘‘ wird seit 2015 wieder live gespielt. Die Dance-Nummer mit sexuellen Andeutungen dient Chris und Janine ein wenig als Vehikel für Acting und Akrobatik zur Animation der Fans.
‘‘Spit It Out‘‘ – der, legt man die Zugriffszahlen bei YouTube zugrunde, größte Corner-Hit beginnt mit Chris‘ und Janines a cappella-Harmoniegesang bei reduzierter Instrumentierung. Seit 2014 wird er im veränderten Arrangement, das auf die Duett-Auftritte jenes Jahres mit Janine zugeschnitten war, dargeboten. Schick, aber der ursprüngliche Pep und Drive ist dadurch ein wenig verlorengegangen.
“Mile Deep Hollow“ ist die aktuelle Singleauskopplung aus dem neuen Album und auch namensgebend für die gegenwärtige Tournee. Es handelt sich um eine ganz außergewöhnliche Ballade vom neuen Album, die Chris Corner auch beflügelt, alle Emotionen in seinen Gesang zu legen. Es gelingt ihm, seinem Bedürfnis nach Liebe Ausdruck zu verleihen. “Now we’re floating like two feathers in the sunlight and the dust of California“ beschreibt seine Übersiedlung aus dem im Winter etwas dunklen und kalten Berlin in die Sonne und Wüste Kaliforniens. Chris ist „durch“ mit Großstädten, wie er in Interviews sagt, wenn er auch Berlin und Los Angeles mag. Doch er fühlt sich mittlerweile in der Einsamkeit und nahe der Natur mehr zu Hause. ‘‘And you no longer have to carry me, we are exactly where I wanted us to be” – man möchte glauben, dass er diese Lyrics für Janine geschrieben hat, seiner Gefährtin seit nunmehr über zehn Jahren, die mittlerweile auch das gesamte Unternehmen IAM{X} managt. Chris versteht den Song aber auch als Botschaft und Dankeschön an seine Fans, sein Publikum, dessen Unterstützung und Treue ihm geholfen haben, eine schwierige Zeit zu überwinden: „So thank you, you need to know that you dragged me out of a mile deep hollow“- die Zeilen aus dem Chorus des Liedes machen dies klar. Der Refrain ist mitreißend, “Mile Deep Hollow“ kann gewiss als einer der besten IAM{X}-Songs angesehen werden, der stärkste Track des neuen Albums ist er auf jeden Fall. Nach dieser Nummer – dem zwölften Song des Abends – verlassen IAM{X} erstmals die Bühne.
“Your Joy Is My Low“ wird zu Beginn des Zugabesets geboten. Der erste veröffentlichte IAM{X}- Song überhaupt aus dem Debütalbum “Kiss and Swallow“ ist einer der absoluten Publikumsfavoriten. Das 2014 entwickelte Arrangement passt hervorragend zum gegenwärtigen Live-Konzept. Die Fans geraten außer sich. Während Chris 2015 im UT Connewitz noch zahlreiche weibliche Fans auf die Bühne ließ, verzichtet er nun wohlweislich darauf. Für Leib und Leben ist das sicher die richtige Entscheidung...
‘‘The Alternative‘‘ vom Album des gleichen Namens aus dem Jahre 2006 ist ein beinahe unverzichtbarer Bestandteil des IAMX-Live-Repertoires und Favorit des Auditoriums, wenn sich auch das Arrangement im Vergleich zu früheren Shows etwas geändert hat. Chris singt den herausfordernden Chorus zuerst tief, um sich im Folgenden auf die ursprüngliche Höhe zu erheben. Der Mastermind spielt hier selbst keine Gitarre mehr, lediglich Janine bedient mit dem stoisch pumpenden Bass ein Saiteninstrument.
Mit “The Power And The Glory” wird das Tempo wieder etwas gedrosselt. Wie “Mile Deep Hollow“, dem es als letzter Song auf der Platte unmittelbar folgt, besticht “Glory“ mit einem sehr tiefgründigen persönlichen Text, in dem sich Corner als verletzlicher Romantiker zeigt. Die Instrumentierung ist sehr sparsam, was den Lyrics noch mehr Geltung verschafft. Das Stück bildet einen sehr gelungenen Ausstieg – aus dem Album und aus dem ersten Zugabenteil.
Offenbar sind Chris, Janine, Sammi und Jon von der Verzückung des Publikums inspiriert, denn sie kehren ein weiteres Mal auf die Bühne zurück. Keine Selbstverständlichkeit, denn während in Köln 18 Songs geboten wurden, waren es zuvor in Frankfurt am Main lediglich 15 Tracks. Das zweite Zugabeset wird mit ‘‘Kiss And Swallow‘‘ eingeleitet, der Lead-Single des gleichnamigen Albums von 2004. Der Song ist aus den IAM{X}-Live-Shows nicht wegzudenken und immer ein absoluter Höhepunkt. Die Besucher erkennen das markante Riff natürlich sofort und feiern es entsprechend intensiv. das den Hörer sofort in seinen Bann schlägt. Dieses Riff funktioniert besonders gut, wenn es auf der Gitarre gespielt wird, so dass es bei der elektronischen Variante doch ein wenig an Drive einbüßt.
Eine weitere Zugabe noch: Die Ballade “Mercy“ wird eingeleitet von Peitschenhieben, wodurch eine S/M-Atmosphäre entsteht. Chris Corner bietet eine weitere starke gesangliche Leistung und schwingt sich von tiefen gesprochenen Passagen auf bis zu hohen Falsetttönen.
Die Band verlässt die Bühne. Das Publikum ist euphorisiert und fordert mehr. Kurz besteht sogar Hoffnung darauf, das Licht bleibt noch für einige Zeit aus, doch schließlich wird das auf der Setlist verzeichnete “This Will Make You Love Again“ nicht mehr gespielt. Offenbar hat sich Chris Corner voll verausgabt. Die Anhänger sind dennoch vollauf zufrieden. IAM{X}-Konzerte in Leipzig sind immer besonders emotional und intensiv. Man darf hoffen, dass Chris bald wieder auf einer Bühne in der Messestadt stehen wird...
IAM{X}-Setlist Leipzig – 21. Januar 2019
1. Alive In New Light
2. No Maker Made Me
3. Bring Me Back A Dog
4. Happiness
5. I Come With Knives
6. Exit
7. I Am Terrified
8. Sorrow
9. North Star
10. After Every Party I Die
11. Spit It Out
12. Mile Deep Hollow
Encore 1:
13. Your Joy Is My Low
14. The Alternative
15. The Power And The Glory
Encore 2:
16. Kiss And Swallow
17. Mercy
Chris Corners Live-Performance war wiederum sehr glamourös, elegant und musikalisch interessant. Das rein elektronische Live-Konzept ist fraglos sehr reizvoll und gut umzusetzen, doch es fehlt ein wenig die Wärme und Raffinesse früherer Jahre. Die Elektronik ergibt gepaart mit Corners elegischem Gesang ein zweifellos stimmiges Gesamtbild. Dieses verlangt allerdings auch einen gewissen Tribut in Form der etwas kühleren musikalischen Atmosphäre. Der Wirkung auf das Publikum tut dies keinen Abbruch.
Wie großartig Chris Corners Gesang klingt, wenn er sich selbst nur mit einer akustischen Gitarre begleitet, davon konnten sich seine Fans bei einem kurzen Stageit-Konzert am 28. Januar 2019 in Helsinki überzeugen. Chris wurde bei einigen Stücken gesanglich von Janine und bei zwei Songs durch Percussion von Jon Siren unterstützt. Was Chris an jenem Abend bot, war erlesen. Neben “Insomnia“ und “Surrender“, die bei der Metanoia-Tour im Set waren, spielt Chris auch echte Raritäten, die sonst ganz selten oder nie zu Live-Ehren gelangen, darunter “Avalanches“, “Rain To Sea“, aber auch solche Perlen wie “The Stupid, The Proud“, “Look Outside“ und “Running“.
IAM{X}-Setlist Helsinki – Stageit-Akustik-Konzert am 28. Januar 2019
1. Insomnia
2. Avalanches
3. Surrender
4. The Stupid, The Proud
5. Look Outside
6. Rain To Sea
7. Running.
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