26. WAVE GOTIK TREFFEN 2017 - die Festtage der dunklen Gemeinde

am . Veröffentlicht in Photoreports 2017

Rückblick auf das WGT 2017

Das Wave Gotik Treffen 2017, die Festtage der dunklen Gemeinde, mochten dieses Jahr für mich kaum zu Ende gehen. Mit diversen "After-WGT Sit-Ins in Noels Ballroom (die Sixtina war am Dienstag wegen Erschöpfung geschlossen) und dem krönenden Abschluss in meiner Sendung "Boudoir Noir" mit Boris May (Klangstabil) und DJ SGindustry (DarkFlower) zelebrierte ich den Spirit des WGT bis zum Sonntagabend weiter.

Bildliche Eindrücke vom WGT 2017 (Fotograf Falk Scheuring) >>>

Das Nicht-Loslassen-Wollen ist kein unbekanntes Gefühl für WGT Besucher. Ideen mit diversen After Show Partys im Rahmen der Blauen Stunde oder ganz individuell den schwarzen (Polter-)Geist weiter in den grauen Alltag mitzuführen werden immer konkreter. Der Donnerstag ist als vollwertiger WGT Tag bereits fast komplett etabliert als Auftakt. Warum nicht nach einem Ruhetag Treffen und Feier bis Donnerstag fortführen ?
Doch was trieb uns wieder zu all diesen Gedanken? Ein Rückblick auf das Wave Gotik Treffen 2017.

Der Donnerstag begann für mich am frühen Nachmittag mit dem Besuch im Alten Rathaus, dem Stadtgeschichtlichen Museum, wo für Besucher des WGT ein "Raum der Erinnerung" eingerichtet wurde. Unter dem Motto "Aus den Anfängen der Leipziger Szene" konnte man sich Ausschnitte aus Dokumentarfilm aus den späten 80ern in Leipzig ansehen, sowie einen Film vom soziokulturellen Zentrum "Die Villa", welches sich erst kürzlich von der Veranstaltung schwarzer Events komplett verabschiedet hat. Bekannte Gesichter der Leipziger Szene kamen zu Wort. Nostalgie schwebte also durch den Raum und die Fotos und Flugblätter in den Vitrinen. Im Gespräch mit den sehr netten Museumsmitarbeitern ergab sich, dass noch immer nach Ausstellungsstücken gesucht wird, die "Zeitzeugen" dem Museum zur Verfügung stellen. Auch der Besuch der Ausstellung "Moderne Zeiten" zur Historie Leipzig lohnt vor allem auch durch die moderne Aufmachung - besonders beeindruckend die Installationen zur Montagsdemo mit Lebensgrossen Puppen. Am Freitag ging es direkt weiter im Kulturprogramm - das Grassi Museum lockte wieder einmal nicht nur mit den beeindruckenden Dauerausstellungen, sondern auch Sonderveranstaltungen und einer Werkschau angehender Kostümbildner. Besonders spannend war es, selbst historisierend gewandet, um die handwerklich exzellent gearbeiteten Exponate zu wandeln, diese zu begutachten und sich mit den Kostümbildner zu fachsimpeln. Der alte Johannisfriedhof lud wieder zum Kraft und Ruhe tanken ein, was bitter benötigt wurde für den nächsten Programmpunkt. Aufgrund vieler Treffenanfragen machte ich mich widerstrebend auf zum "Viktorianischen Picknick". Stilecht viktorianisch gekleidet war ich bereit. Nur: Der Titel hat mit dem Picknick nichts mehr gemein (dies allerdings schon seit Jahren). War es letztes Jahr aufgrund der bunten Menschenmassen schon unerträglich schien das Volksfestspektakel dieses Jahr den traurigen Höhepunkt erreicht zu haben. Ganze 10 Minuten habe ich es ausgehalten. Die knallige Sonne tat ihr übriges scheue, wahrhaft dunkle Gestalten schnell wieder zu verjagen.

Dank des Stadtfestes, ungünstigerweise zur selben Zeit stattfindend, war das "Picknick" aufgebläht wie zum primitivsten Karneval und die Innenstadt sowieso absolut zu meiden. Ruhe fand ich sehr schnell wieder im Volkspalast, wo vor einer entspannt kleineren Gruppe, NICHOLAS SCHRECK, der tantrische Werwolf aus Amerika, aufspielte. Unerwartet gut eröffnete er nun auch für mich die Tore in die Anderswelt und die WGT-Stimmung konnte Einzug ins Gemüt halten. Leider konnte ich den indisch-orgel-rockigen Schreckadelic, schreckwave und schreckabilly Klängen nicht bis zu Ende lauschen, denn ich rauschte im wehenden Gewändern zu Rockstar Mozarts "Entführung aus dem Serail" in die Oper. Die Inszenierung glänzte mit einer hervorragenden Diva Eleonore Marguerre, einem echten schwarzen Hengst, wundervollen Barock Kostümen, einem überdimensionalen Kronleuchter, echtem Feuer und Mozarts Hollywoodesker Geschichte.Blick in den Kohlrabi-Zirkus zum WGT 2017 Umso grauenvoller der Kulturschock beim beschwingten Verlassen des Opernhauses. Riesenräder, Rummel, Scooter und Schlager-Bummbumm auf dem Augustusplatz. Solidarisch klammerten sich die WGT-Besucher aneinander und teilten das Leid im Ausharren während man vor den Operntoren auf Begleitungen wartete. Flucht nach vorn ins WGT-Heimatland Agra. Erst dort konnte der Schock verarbeitet werden, auch dank Noctulus, der diesmal einen blau illuminierten Black Metal Märchenwald zur Verfügung gestellt bekommen hatte. Erstes Zitatehighlight des Abends die Frage eines augenscheinlichen Newbies an mich : "Redet er die ganze Zeit so?".
Die Zeit rannte natürlich wie immer unerbittlich und gerade so schaffte ich es zum ersten Mitternachtsspezial: AMANDA PALMER und Edward Ka Spel. Ein wahres Juwel und absoluter Headliner für das WGT. Mein Persönliches Highlight des Gesamt WGTs. Ursprüngliche Pläne die Agra aufgrund von frühem Konzert am nächsten Tag zu verlassen erübrigten sich nach den ersten drei Klängen und dem Anblick Amanda Palmers wehenden Gewändern im grossen Bühnenventilator. Die Stimme hallte bis in unsere Seelen, das Konzert vorgetragen mit kaputten Keyboard und mysteriösem Virus (genaueres auf APs Instagram) war Magie in der absolutesten Form. Worte vermögen dies kaum zu beschreiben. Damit beschliesse ich den wundervollen WGT Freitags Rückblick.

Samstag griff ich den magischen Spirit der vergangenen Nacht sofort auf und begab mich zur Mittagszeit in die romantisch-neogotische (1887) Kirchenruine Wachau. Ein Symbol und Bildgeber des WGTs, nun endlich auch Spielstätte für Konzerte, eine stimmungsvollere Ruine ist kaum zu finden. Efeuranken schmiegen sich an die sternenbesetzten Gemäuer, der Architekt selbst schien im viktorianischen Zeitalter inspiriert von düsteren Legenden und wilder Romantik, als er dieses herrliche Gebäude schuf. Passend dazu spielten die Spanier von "Trobar de Morte" auf, deren Magie ich schon vor Jahren im heidnischen Dorf bewunderte als sie Woodstock-Atmosphäre ins Publikum brachten. Leider war der Auftritt durch einen halbstündigen Soundcheck verzögert - ungünstig für das Publikum und für die Künstler, die dann zum Auftritt im Backstage verschwanden und mit Kapuzen wieder heraustraten. Die Fantasy-folkige Musik und die Tanzkünste von LadyMorte machten dies aber sofort wieder wett. Echte Magie erlebten wir als nach der letzten Zugabe und auf den Schlag des letzten Applausklatschers die Wolken brachen und das Gewitter über uns herniederging. Als hätten die Götter dem Konzert gelauscht und applaudiert.
Die Abendgestaltung erwies sich als schwierig bis unplanbar, da interessante Konzerte von "Daemonia Nymphe" bis "Peter Bjärgö" in der ganzen Stadt verteilt stattfanden.
Schließlich fand ich mich auf der Agra wieder, vor allem um das Konzert meines Studiogastes zu bewundern: KLANGSTABIL lieferten neben einer schnörkellosen Show wieder grossartige Atmosphäre, Tanzbarkeit und bewegende Ansprachen an die "schwarze Gemeinde". Der Gedanke einen "Spirit" weiter tragen zu müssen, formte sich hier besonders, als Boris den Nachwuchs erwähnte und das "Sich nicht zu Hause verstecken". VNV NATION bildeten einen gewohnt atmosphärischen Abschluss mit "Shine"-LED Lichtermeer. Einige Dinge sind eben Tradition.

Blick in die Agra bei 69 Eyes zum WGT 2017Wechselhaftes und unbeständiges Wetter sowie Schlammmassen verhagelten den Besuch des Heidnischen Dorfes für mich dieses Jahr leider vollends. Zum Glück gibt es ja immer genug Alternativen. Tatsächlich war die Agra am Ende Hauptlocation meiner Konzertbesuche. Auch Sonntag wieder - Auftakt waren die Retro-Waver von  SHE PAST AWAY. Man bekam was man erwartete, ein vollkommen gelungener Start in den Abend. Das Konzert war besser besucht als die meisten Abendkonzerte. - Frühe Uhrzeit?  Exotenbonus? Oldschool Klang? Die Gründe können vielfältig sein für den Kometenhaften Aufstieg der Band, ich beteilige mich gern daran - die Songs hab ich ohnehin fast täglich zur alltagserleichterung auf den Ohren.
Oldschoolig ging es auch weiter mit den alten Herren von  den THE 69 EYES,  THE MISSION und SKINNY PUPPY. Auch hier blieben Überraschungen weitestgehend aus, für Menschen, die eine oder mehrere der Bands schon erlebt haben. Diesmal hat mich bei Skinny Puppy nur leider der grottenschlechte Agrasound, den ich über viele Jahre gut ausblenden konnte kalt erwischt. Vielleicht haben die Urgesteine auch etwas an feinem Gehör verloren - aber leider konnte ich die einzelnen Songs unter einem Bassteppich kaum ausmachen und wurde nur von Mansons "Now is the only thing thats real" daran erinnert, welche Band eigentlich gerade vorn steht. Auf die fantasievolle Bühnenshow musste natürlich niemand verzichten, der sich in die ersten Reihen traute, obschon die glorreichen Moshpit-Zeiten wohl endgültig vorbei zu sein scheinen.
Leider waren die offiziellen WGT-Partys (Bändchen-frei) in Noels Ballroom ( grandios: The Cure Party Samstag Nacht) am Sonntag nicht mehr in Programm, dafür aber enorm viele andere Aftershow-Partys von 4Rooms bis Täubchenthal.

Die Opernschlange quer über den Augustusplatz 1,5 h vor Beginn der Oper erinnerte mich wieder daran, dass Montag kein guter Operntag fürs WGT ist, da alle versuchen hinein zu kommen. Aus Solidarität begab ich mich dann auch wieder hinfort und als solle es so sein, landete ich erneut auf dem Agra-Gelände.Konzert im Alten Stadtbad Leipzig zum WGT 2017
Ein weißer Rauschebart mit Glitterkonfetti irritierte die Leute mit Eisbärenmusik. EISFABRIK nennt sich die Electro-Combo, deren Trashpotential nur leider nicht trashig genug ist um so cool zu sein, wie sie es vom Bühnenprogramm her gern wären.
Nach diesem Welle:Erdball für Arme Intermezzo stieg die Qualitätskurve wieder merklich mit "Psychlon Nine"aus den Staaten. Ich fühlte mich angenehm an die frühen "Hocico" Mexikaner erinnert und konnte endlich mal wieder etwas die Tanzbeine schwingen.
Die Show von FUNKER VOGT wurde sowohl von den alteingesessenen Fans, als auch von zahlreichen AGONOIZE-Fans erwartet, denn Chris L. ist neuer Sänger. Im Nachgang wurde dieser Auftritt mit einer Bühne, die optisch zum Schützengraben umfunktionert war, viel diskutiert. "Musik ist Krieg"? Brachte Chris zu viel Agonoize in das Projekt ein und muss dieser martialische Auftritt sein?
Die belgischen Electro-Urgesteine SUICIDE COMMANDO schließlich rundeten als Headliner das Programm stilecht ab und brachte die Menge zum Abschlusskonzert des WGT noch einmal ordentlich in Bewegung. Für uns ging es zum weiter Tanzen direkt in die Moritzbastei zur WGT Closing-Party. Hier kam dann endlich in den letzten Mond- und ersten Sonnenstunden der wahre Charakter des Treffens zum Tragen. Und der Abend schloss mit Treffen und Kennenlernen von alten und neuen Freunden aus aller Welt - Gespräche , Tanzen , Bier und Harmonie.
Die Magie trug uns weiter und lässt uns ein wohliges Gefühl im Herzen zurück - die Vorfreude aufs Nächste Jahr und die Gewissheit nicht allein zu sein.  ( Pathos Ende :) )

www.wave-gotik-treffen.de

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